Update / 15 Uhr: Mittlerweile gibt es nähere Erläuterungen seitens der Stadt. diepresse.com zitiert einen Sprecher der Stadt Leipzig, Matthias Hasberg, wie folgt: „Fleisch auf der Bühne geht grundsätzlich – aber es muss verzehrfähiges Fleisch sein“. Die von Nitsch für seine Aktion vorgesehene Rind und die drei Schweine dürften nicht eigens für das Drei-Tage-Spiel getötet werden, weil eine Kunstaktion keinen „vernünftigen“ Schlachtgrund darstellt. Auch Hermann Nitschs Gattin kommt hier zu Wort.
Hermann Nitsch darf also durchaus an der Fleischtheke für die Aktion einkaufen gehen – es nur fraglich, ob dort gerade ganze Rinder und Schweine vorrätig sind. Wir gestehen, wir haben es juristisch noch nicht ganz durchdrungen: Verzehrfähiges Fleisch darf verwendet werden – man darf es aber nicht zu künstlerischen Zwecken beim Schlachter vorbestellen, weil sich selbiges durch die (notwendige) Bestellung in „eigens für die Kunstaktion getötete“ Tiere verwandelt? Ziemliches Theater ums Theater. Hauptsache aber, dass vorausichtlich alle Teile des Drei-Tage-Spiels wie geplant stattfinden können.
Update / 12 Uhr: Die Stadtverwaltung dementiert ein Verbot, hielt es aber für notwendig: „dem Centraltheater am Donnerstag erneut die Rahmenbedingungen des Tierschutzgesetzes“ mitzuteilen und „untersagt die Verwendung von Fleisch, das nicht im Einklang mit dem Tierschutzgesetz steht.“ (https://www.facebook.com/Portal.Stadt.Leipzig).
Hat Herr Hartmann das falsche Fleisch bestellt? Wir bleiben dran.
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Gestern gab es im Centraltheater ohnehin schon lange Gesichter: Das heftige Gewitter hat im wahrsten Wortsinn den Kirschgarten zerstört, der zum letzten Mal über die Sommerbühne vorm Weissen Haus gehen sollte.
Als dann die Kunde vom Verbot des „Drei-Tage-Spiels“ von Hermann Nitsch die Runde macht, werden aus den langen ungläubige Gesichter. Ist eine solche Provinzposse möglich? Will der OBM tatsächlich mittels juristischer Winkelzüge eine Kunstaktion verhindern, die Hermann Nitsch seit 50 Jahren macht, die schon im Wiener Burgtheater stattfand?
Protest wie Verbot begründen sich im Schutz der Tiere, deren Kadaver ein wichtiger Teil der rituellen Performance am Samstag sind. Darf man Tiere nur zum Zwecke der Nahrungsbeschaffung schlachten? Darf man geschlachtete, zum Verzehr bestimmte Tiere aus dem Produktionskreislauf nehmen und ins Zentrum einer künstlerischen Aktion stellen? Der Leipziger OBM hält genau das nun offensichtlich doch für rechtswidrig, obwohl sowohl die Nitsch-Foundation als auch Sebastian Hartmann bestätigen, dass die „Vorbereitungen und erforderlichen Genehmigungen seit Wochen vorliegen und sich Nitsch und sein Team streng an alle Vorlagen gehalten haben.“
Der Wiener Standard zitiert aus dem Schreiben Jungs an Sebastian Hartmann: „Das Schlachten von Wirbeltieren zum Zwecke der Verwendung dabei gewonnener Erzeugnisse als ‚besondere Requisiten‘ ist als ‚Töten‘ einzustufen“, heißt es in dem Brief. Die Tötung mehrerer Tiere zum Zweck der Bereitstellung von Requisiten für eine Kunstaktion sei „nicht gerechtfertigt“: „Aus den vorgenannten Gründen untersage ich Ihnen den Bezug und die Verwendung von Tierprodukten im Rahmen der Hermann-Nitsch-Inszenierung ‚3-Tage-Spiel‘ des Centraltheaters, deren Bereitstellung die Tötung von Tieren eigens für diese Inszenierung voraussetzt.“
Der 75jährige Nitsch, der nach den Proben mit den Leipziger Akteuren und seinem Team im Pilot saß, war sichtlich erschüttert. Dabei ist er Proteste von Tierschützern gewohnt, die gibt es bei jeder seiner Aktionen. Bei change.org haben bislang 21.000 die – recht internationale – Petition gegen die Aktion unterzeichnet, von den Anfeindungen gegen Nitsch im Netz erfüllt sicher jeder zweite einen Straftatbestand.
Im Vorfeld war man in der Stadt durchaus um Dialog bemüht. Bei einer Podiumsdiskussion am vergangenen Mittwoch trafen Tierschützer auf Befürworter, Gegner auf Verantwortliche. Von seiten der Stadt sprach man von „rechtlich einwandfrei“, „Freiheit der Kunst“ und „mit den Füßen abstimmen“. Was jetzt – 48 Stunden vor Beginn – die Stadtführung veranlasst hat, so entschieden gegen Nitsch und das Centraltheater vorzugehen, darüber möchten wir gar nicht spekulieren.
In einem Artour-Beitrag im Mitteldeutschen Rundfunk hieß es gestern „Wir sehen (…) archaische Riten, die ganz sicher auf viele abstoßend wirken. Die Frage aber, ob das Kunst ist, bedarf keiner demokratischen Abstimmung“. Dem können wir uns nur anschließen: Protestiert, diskutiert, streitet oder bleibt weg, aber lasst Hermann Nitsch sein Orgien-Mysterien-Theater feiern. Lasst uns keine Stadt sein, in der die Politik Kunst verbietet!