Kaputt | Castorf an der Volksbühne Berlin

kaputt – mit castorf nach krakau und an die ostfront

Unser Autor ist nach Berlin gefahren und berichtet von den reichlich fünf Stunden der Castorfschen Tour de force Kaputt nach Malaparte, die seit Ende Oktober letzten Jahres an der Volksbühne läuft.

„In Romanen aber finde ich großartige Gelegenheiten für mich: Vielfalt, Chaos, Unordnung, Komplexität.“

Volksbühnenintendant Frank Castorf gehört zu den Regisseuren, die sehr häufig Romane auf die Bühne bringen. Die Vorlage für seine neueste Romanadaptation ist wahrscheinlich vielen nicht bekannt: An der Berliner Volksbühne kann man seit Herbst letzten Jahres » Kaputt sehen.

Der Autor des Romans „Kaputt“ ist Curzio Malaparte, eine schillerende Figur, Mitglied der faschistischen Partei Italiens. „Kaputt“ ist eines der größten Antikriegsbücher des 20. Jahrhunderts (Verlagswerbung). Ein „richtiger“ Roman ist es allerdings nicht, sondern eine Sammlung von Reportagen, die Malaparte als Kriegsberichterstatter für die Zeitung Corriere della Sera schrieb. Es sind Berichte vor allem von der Ostfront des 2. Weltkrieges – aus der Ukraine, Rumänien, Lappland.

Kaputt an der Volsbühne. © Thomas Aurin
Kaputt an der Volsbühne. © Thomas Aurin

Die Geschichten werden zusammengehalten durch eine Rahmenhandlung, die hauptsächlich in den Kreisen der deutschen Besatzer spielt, so z.B. auf Abendgesellschaften im Krakauer Amtssitz von Hans Frank, dem Generalgouverneur des besetzten Polens. Das Ungewöhnliche an diesem Buch ist, wie in der Salonkonversation immer wieder die Sprache auf die Greuel des Krieges kommt, wie Malaparte selbst oft die grausigsten Erlebnisse berichtet, das aber in einem Ton zynischer Beiläufigkeit, der den Leser verwundert und erschüttert. So gibt es eine Szene, in der Malaparte einen Besuch beim kroatischen Diktator Ante Pavelic schildert. Auf dem Tisch steht ein Korb und Malaparte glaubt zunächst, darin seien Austern, bis ihn Pavelic aufklärt, dass es menschliche Augen sind.

Wie setzt nun Frank Castorf Malapartes Roman auf der Bühne um? Das Bühnenbild von Bert Neumann wird bestimmt von Bruchstücken einer schwarzglänzenden Säule, großen, ebenso schwarzen Blöcken, gelben Kunststoffvorhängen, einem goldenen Tier (Schwein oder Bär?) und einem knapp über einer Wasserlache schwebenden Container. Innerhalb des Containers spielt sich der Großteil der Handlung ab und wird für den Zuschauer per Videoübertragung auf einem grob gepixelten Bildschirm sichtbar. Die Handlung selbst beschränkt sich nicht auf den Roman (der mit seinen über 500 Seiten schon einiges an Stoff bietet), sondern bettet das Geschehen in eine weitere Rahmenhandlung ein – Malapartes Biograph Franco Vegliani (Mex Schlüpfer) tritt auf und man erfährt gleich zu Beginn, dass Malaparte an Lungenkrebs stirbt.

Am Ende unterhalten sich Biograph und Malaparte (Jeanne Balibar) über sein Leben, über seine Wendung vom Mitglied in Mussolinis Partei zum Kommunisten, der nach China reist. Dazwischen liegen reichlich fünf Stunden, in denen man viel erfährt, viele Begebenheiten aus dem Buch nachgespielt werden oder, wie es im Buch typisch ist, das Thema der Konversation der Nazi-Eliten bilden. Dabei gibt es starke Szenen, aber auch Längen, Szenen, die einfach nicht enden wollen, obwohl man weiß, worum es dort geht und der Text nur noch wiederholt wird. Das kann dann manchmal auch nerven, aber wer Castorf-Theater kennt, der weiß, dass dieses Nervende dazugehört. Fast amüsant zu nennen ist die Szene, in der Max Schmeling (Frank Büttner) auftritt und richtigstellt, dass er nicht heldenhaft eine Verwundung auf dem Schlachtfeld davontrug, sondern sein Einsatz wegen Durchfalls eingeschränkt war. Aber es bleibt einem das Lachen im Halse stecken, wie an vielen anderen Stellen auch. Immer wieder spielt die Ästhetisierung des Grauens eine Rolle, die man im Roman findet: so z.B. in der Beschreibung der in einem See eingefrorenen Pferde – auf der Bühne gezeigt in eingeblendeten verwaschenen Schwarz-Weiß-Aufnahmen.

Der beste Moment des Abends kommt sehr spät, fast zum Schluss: Axel Wandtke, der den nazitreuen Gouverneur Lapplands gespielt hat, robbt nun nackt durchs trübe Wasser, assistiert von Colonel Jack Hamilton (Georg Friedrich). Wandtke brüllt seinen Hass, aber auch Selbsthass, laut hinaus mit Worten, die die Menschenverachtung des Faschismus zusammenfassen.

In diversen Kritiken der Inszenierung kann man lesen, dass die Erkenntnis des Abends nur die Tatsache wäre, dass der Mensch böse und gewalttätig ist. Zu wenig? Man hört am nächsten Morgen die Nachrichten oder schaut in die Zeitung und kann kaum abstreiten, dass diese Erkenntnis einen gewissen Wahrheitswert hat. Malapartes „Kaputt“ ist ein Buch, das den Leser verstört. Wen wundert es, dass auch Castorfs Theaterfassung verstörend wirkt.  Aber wie sagte er im bereits anfänglich erwähnten Interview: „Alles wirkt gleichzeitig auf uns ein, … wir stolpern täglich durch die simultan pochende Welt, machen uns aber nicht in jedem Moment Sorgen, nur weil wir dies oder jenes nicht verstehen.“

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