nordkurve #9: glauben sie mir, dass ich geboren wurde?

Da stolpert ein Seemann in ein Büro, wird mehr oder weniger freundlich bezüglich seiner Angelegenheiten befragt, so lang, bis sich herausstellt, dass er keine Papiere mehr hat. Sein Schiff mitsamt Seesack und Seemannskarte ist ohne ihn abgefahren, seine Identität schippert irgendwo auf den sieben Weltmeeren herum. Was tun? In B. Travens Roman „Das Totenschiff“ von 1926 schlägt sich der zurückgelassene Seemann Gales erst verzweifelt und vergeblich durch bürokratische Instanzen verschiedener Länder, bevor er auf dem einzigen Schiff anheuert, auf dem er, identitätslos wie er ist, noch arbeiten kann – der Yorikke, besagtem Totenschiff eben, das Leute auf- und ausnimmt, die sonst keiner mehr braucht. Clara Weyde bringt diesen Roman nun im Rahmen des START-OFF-Wettbewerbs am Hamburger LICHTHOF-Theater auf die Bühne.

Vier Seemänner im Dienst: Amadeus Köhli, Jannik Nowak, David Simon, Christoph Jöde. (c) Sinje Hasheider
Vier Seemänner im Dienst. © Sinje Hasheider

Letztendlich haben wir da vier Seemänner – Christoph Jöde, Amadeus Köhli, Jannik Nowak und David Simon. Die drei ersteren geben anfangs auch die Bürokraten der verschiedenen Länder. Um zwei schwere Schreibtische (gespickt mit Länderfähnchen und allerlei Papierkram, Ausstattung: Katharina Philipp) herum, treiben sie mit bürokratisch-hierarchischen Spirenzchen und allerhand sehr lustigen Slapstick-und-so-Schnickschnack, den Bittsteller zuerst in den Wahnsinn und anschließend außer Landes: denn wer kann schon so einen Menschen gebrauchen, der theoretisch nicht vorhanden ist? Das gibt nur Scherereien.

Glauben Sie mir überhaupt, dass ich geboren wurde?

Am Anfang schlichtweg überfordert, nutzt Gales seine Identitätslosigkeit zunehmend auch für sich und füttert die Bürokraten auch mal mit falschen Informationen. Er schlängelt sich durch die Instanzen, von einem Land zum anderen, von einer Henkersmahlzeit zur nächsten, immer flüchtend und suchend zugleich, aber fündig wird er nie. Einmal mehr sichtbar wird die Absurdität seiner Situation, wenn er seine Wut und Hilflosigkeit an einem soeben geangelten Fisch auslässt, nach dem Motto: Da hast du Glück gehabt, ich lasse dich gerade nochmal frei, hau ab jetzt, schwimm genau da lang, aber wage es bloß nicht, wiederzukommen.

So endet der erste rasante Teil, der diesen Wahnsinn auf sehr unterhaltsame und somit fast wieder beklemmende Art zeigt, mit zwei hohen eisernen Regalen, die, zusammengeschoben mit den Schreibtischen, die Yorikke ergeben und auf die Christoph Jöde als schräg-zwielichtiger Skipper zur Fahrt nach vermeintlich-Liverpool einlädt – Endstation Totenschiff.

Nicht so gemütlich: Auf der Yorikke. © Sinje Hasheider
Nicht so gemütlich: Auf der Yorikke. © Sinje Hasheider

Nach der Pause ersetzt ein atmosphärisch-beklemmender Klangteppich, der die Trostlosigkeit des Lebens auf der Yorikke untermalt, die munteren Seemannslieder des ersten Teiles (Musik: Thomas Leboeg). Spaß und Schnelligkeit sind erstmal gestrichen – die vier Seemänner lungern lethargisch und beengt, mit kohle- und schweißgeschwärzten Gesichtern herum. Bewegung kommt in die Besatzung, wenn der Alarm ertönt, verstärkt durch eine wie frisch aus dem Gameboy gezapfte Tippeltappel-Musik, woraufhin die vier Unglücksraben wie die Ameisen loshetzen und sehr eintönige und womöglich sinnlose Arbeiten erfüllen, um danach wieder neu zusammengepfercht in Lethargie zu versinken.

Das ist nicht die Hölle. Hier kann nicht mal der Teufel wohnen.

So geht das eine Weile und man fragt sich, was hier noch kommen kann – auf dem Totenschiff irgendwo auf dem Meer und natürlich nicht auf dem Weg nach Liverpool sondern nur auf dem Weg des Skippers, der mit seiner formal nicht vorhandenen Besatzung machen kann, was er will.

Ein Aufbäumen kommt noch, ein Hoffnungsschub: „Man hat doch immer die Wahl!“ empört sich Gales und er springt nur deshalb nicht über Bord ins erlösende Nass, weil er noch Hoffnung hat. Clara Weyde inszeniert mit ihren Leuten einen Abend, bei dem es viel zu gucken gibt, viel zu lachen, und bei dem einen dann zunehmend das Lachen im Halse stecken bleibt. Vom rasanten ersten Teil (der Welt) bleibt im zweiten fast nur atmosphärische Leere (das Totenschiff), angereichert mit Geschichten, erzählt von ausrangierten Menschen.

Dem Menschen, der seine Existenz nicht beweisen kann, bleibt in unserer Welt nur sehr wenig. Wenn er Glück hat, ein kleines bisschen Hoffnung.


» Das Totenschiff von B. Traven
Regie: Clara Weyde.
Mit: Christoph Jöde, Amadeus Köhli, Jannik Nowak, David Simon

Nächste Vorstellungen: 14.-17. Januar, LICHTHOF Theater Hamburg


Unsere frischgebackene Autorin franzjakk hat bis vor kurzem noch in Leipzig gelebt und die dortige Theaterwelt ergründet und bereichert. Aufgrund nötigem Tapetenwechsels und neuer Perspektiven wohnt sie nun aber in Hamburg und bleibt uns fortan über die Nordkurve verbunden. „Nicht nur über die Nordkurve, auch über jede Menge wärmste Gedanken und so!“ ruft sie, bevor sie mit ihrem Schiff den Lindenauer Hafen verlässt. „Und sag den Lesern, ich mach das hier zum ersten Mal, also sollen die mal nachsichtig mit mir sein!“ schallt es noch hinterher.

Was franzjakk neben Theatergeschichten schreiben noch so macht, könnt ihr auf ihrer Website erkunden: www.franzjakk.com

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