Im Stein | Schauspiel Stuttgart

die engel sind gierig – hartmann wuchtet meyers stein auf die bühne

Im Stein heißt Clemens Meyers monumentaler, vielstimmiger Nachtgesang aus der Schattenwelt, dessen Uraufführung zu gern das Schauspiel Leipzig an Land gezogen hätte. Nix, sagte der Herr Meyer, das macht der Sebi und jener feierte mit der Uraufführung am vergangenen Wochenende am Schauspiel Stuttgart Premiere.

Im Stein © Ju Ostkreuz
Im Stein © Ju Ostkreuz

Als namensgebender Stein steht ein riesiger grauer Würfel auf der Schauspielbühne – hart, undurchdringlich, eine in Beton gegossene Behauptung. In dessen Innern aber brodelt ein mäanderndes Labyrinth aus Räumen, Stimmen und Szenen, aus den Figuren und den Geschichten des Romanes. Das Geschehen wird via Live-Kameras und einem sensationellen Live-Schnitt (So genial, dass für einige Kritiker feststeht: da müssen zumindest Teile vorproduziert sein. Aber nein, alles live.) auf die Außenhaut des Steines und dem Publikum vor die Füsse geworfen.

Ein mutiger, ein schlüssiger Zugriff. Hartmann beraubt uns der direkten Körperlichkeit des Theaters (was man durchaus schade finden darf) und hält filmisch auf Distanz. Er ist authentisch ohne das eigene Gemacht-Sein zu verleugnen, lenkt unerbittlich den Blick und lässt dadurch den Zuschauer das Spiel so intensiv erleben, wie es sonst auf der Bühne kaum möglich wäre.

Der Jockey trinkt nicht mehr.
Aber der Hans, der kanns.

Schön ist es nicht, und streckenweise schwer auszuhalten, was da an Gewalt, Einsamkeit, Brutalität, Gier und Dreck vier Stunden lang zu sehen ist. Huren, Luden, schmierige Kerle, ein verzweifelter Ex-Jockey – Sirenen und Nachtgestalten bevölkern Meyers Roman und Hartmanns Stein. Dazwischen funkelt – man verzeihe den Pathos – die Poesie des Schmerzes, die Schönheit im Dreck: Vor allem Janine Kreß und Christian Kuchenbuch schaffen in ihren gemeinsamen Szenen kleine Inseln der Hoffnung und der Wärme.

Mit Küssen seines Mundes bedecke er mich.
Süßer als Wein ist deine Liebe.
Köstlich ist der Duft deiner Salben,
dein Name hingegossenes Salböl

Oben und Unten liegen ganz dicht beieinander, wenn Abak Safaei-Rad das Hohelied Salomos spricht um gleich darauf im sächselnden Nuttenslang zu verfallen. Tragik und Komik, wenn die großartige Manja Kuhl sich in ihre Familie aus übergroßen Comicfiguren flüchtet oder Holger Stockhaus als Inspektor-Clouseau-Verschnitt Moorleichen (unter)sucht. Und das Lachen bleibt einem im Halse stecken wenn selbiger als Ecki Edelkirsch für seine perverse Netzradio-Show Nutten testet.

Im Stein © Ju Ostkreuz
Gibt es einen Rest Nähe „Im Stein“? © Ju Ostkreuz

Dabei sind die Schauspieler nicht etwa geschützt durch den Stein, sondern, im Gegenteil, der Kamera extrem ausgesetzt. Sie zeigen die Verletzlichkeit der Figuren nicht nur in nackter Haut, sie legen deren Seelen bloß und die eigene hinein.

Ich will nie mehr liegen, nie mehr unten sein

Schnelle Schnitte, Wechsel, Überblendungen – versucht man eine Figur zu greifen, löst sie sich schon wieder auf, um in der nächsten verborgenen Ecke neu zu entstehen. Dennoch ist alles unglaublich genau und durchdacht und die Nähe zur bildenden Kunst zeigt sich nicht nur, wenn sich Szenen in einem Gemälde Caravaggio auflösen oder Figuren einem Werk Brueghels entsteigen. Durch die Bilder und Räume wandert Manolo Bertling als immer präsenter schwarzer Engel – vielleicht auch auf der Suche nach dem, was der Mensch in dieser Schattenwelt zu finden glaubt.

Es sind das überwältigende Ensemble, die phantastische Bildsprache Hartmanns und die ebenso direkte wie poetische Sprache Meyers, die zusammen einen Sog entwickeln, dem man sich schwerlich entziehen kann. Wenn am Ende dieser schonungslosen Tour de Force das ganze Ensemble im grellen Bühnenlicht an der Rampe sitzt und Birgit Unterwegers Schlussmonolog einer Hure lauscht, ist Großes gelungen – ein Text wurde gefühlt, erlebt und erlitten – tiefer, noch tiefer hinein in den Stein geht es nicht.


» Im Stein, Schauspiel Stuttgart
Nächste Vorstellungen am 3., 10. und 21. Mai sowie am 11. Juni

 

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