Die Ermüdeten | Schauspiel Leipzig

deine freundlichkeit hat etwas gewaltätiges

Die Party ist Gange. Mehr so die edle Sorte: Yuppie-Wohnung, so-eine-geile-Aussicht!-Dachterrasse, Asia-Catering (So lecker!) und Biobier. Natürlich hat keiner Bock. Natürlich sind trotzdem alle da. Ich party, also bin ich.

Die Emüdeten © Rolf Arnold
Die Emüdeten © Rolf Arnold

Der österreichische Autor Bernd Studlar hat seine » Ermüdeten ziemlich kalten Auges beobachtet, beim hinter den falschen Göttern (Biobier! Life-Coach! Privatschule!) Herjagen, beim immer-weiter-strampeln-(müssen), um der inneren Leere zu entkommen.

Das sind nicht alles meine Freunde, ein paar Bekannte sind auch dabei!

Regisseurin Claudia Bauer greift diese oft böse, manchesmal aber auch arg allgemeinplatzhaltige Versuchsanordnung auf. Sie steckt ihre Spieler samt und sonders in lange Satinkleider, setzt ihnen Masken auf (die sich von Puppenhauspuppen mit porzellaniger Glätte über Gremlin-ähnliche Fellmützen bis zu schrägen Vögeln wandeln) und sperrt sie in eine Art Gummizelle mit Wänden aus gerafftem Vorhangstoff.

So des Gesichtes und der meisten individuellen Züge beraubt,bleibt ihnen nicht einmal die eigene Stimme: Virtous wechseln die sechs Schauspieler-Sprecher vom wortlosen Spiel in der Mitte hinter die Mikrofone am Bühnenrand und leihen dort den anderen gerade stumm Spielenden ihre Stimme. Das ist konsequent – ist hier doch niemand mehr bei sich, entlarvt die Diskrepanzen zwischen Worten und Körpersprache und zaubert zarte, tragikomische Momente. Wie sich Katharina Schmidt mit ihren viel zu langen Ärmeln und dadurch vor allem zum Festhalten unbrauchbaren Armen herumschlägt, ist wunderbar.

Das akustische Spiel mit starken Stimmencollagen rhythmisiert den Text, die schräge Choreografie verleiht der Szenerie etwas hübsch-gruselig Marionettenhaftes. Wenn die Inszenierung aber ab und an ein wenig hängt, zuviel vom Gleichen zu lange loopt, scheinen die Schwächen der Vorlage deutlicher durch, die an einigen Stellen sehr platitüdelig (Biobier! Privatschule! Life-Coach!) daherkommt.

Was bin ich? Und, wenn ja, warum?

Der Kontrast zur übersatten Gesellschaft und der Rahmen des Ganzen (von dem sich ruhig noch mehr durch das Stück hätte ziehen dürfen): Auf der erwähnten Terrasse trifft der lässige Party-Host (Dirk Lange) auf eine fremde Lebens-Müde (neu im Ensemble: Sophie Hottinger – welch ein Genuss!), die sich zum Suizid-Aufschub überreden lässt und hernach mit der Waffe (natürlich ist die geladen, wozu hab ich die denn?) des Hausherrn, nothing-left-to-loose-Atitüde und boshafter Freude das Partygeschehen durchstreift – bis am Ende beider Rollen vertauscht sind.

Kämm dich schneller! … Wie, deine Marie ist nachmittags ZU HAUSE? … Man kann doch nicht mit vierzig noch auf dem Spielplatz … Dann krieg ich den Dienstwagen … Kennt ihr diesen Film dem Schauspieler, na, der  … – Der Reigen aus Auf- und Abtritten und Gesprächsfetzen geht immer weiter und es steigen – wer hätt’s gedacht – mit dem Alkoholpegel auch Aggressionen und Verzweiflungen. Man könnte auch sagen, es wird ehrlicher. Na, vielleicht doch eher gemeiner. Wer hier Freundschaft und Nähe sucht, dem sei zur Therapie geraten.

deine freundlichkeit hat etwas gewaltätiges

Umsonst wartet man indes auf irgendeinen Bruch – sei es nun Auf- oder Aus- oder Zusammen- irgendwas muss doch noch … Und selbst der Ein-Bruch der Wirklichkeit (Krieg. Hunger. Tod.) bleibt letztlich nur Behauptung. Welche durchaus wieder ästhetisch schöne Bilder macht – zum Beispiel wenn nach dem Kanonenschuss mit schwarzen Konfetti die Masken fallen und man sieht: dahinter ist ja doch etwas! Ein kleines, nacktes Leben, Gesichter voller Entsetzen … Und vorbei. Publikum und Personage bleiben hinter den dicken Vorhängen gefangen.

(Gewollt) frustrierend? Ja. Irgendwas fehlt? Ja, auch das. Hauptsächlich aber macht das Zuschauen und mehr noch das Zuhören ziemlich großen Spaß. Saisonauftakt #2 – Prädikat sehenswert! Und auch dem aus Wien angereistem Autor hat seine Uraufführung gefallen, mehr sachdienliches war ihm leider nicht zu entlocken – zu laut und zu spät war es wohl auf der Premierenfeier ;)


» Die Ermüdeten oder Das Etwas, das wir sind (UA)
Mit Wenzel Banneyer, Sophie Hottinger, Tilo Krügel, Dirk Lange, Annett Sawallisch und Katharina Schmidt
Wieder am 1. und 17. Oktober, Diskothek

 

 

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