Der Spieler | Martin Laberenz am Schauspielhaus Düsseldorf

alles auf zero oder die lust am verlust

Kaufhof, Breuninger und Kö: Um zum Düsseldorfer Schauspielhaus zu gelangen, ist ein regelrechter Nahkampf durch schier endlose Einkaufsmeilen und Fressgassen vonnöten. Das Theater selbst trotzt wie ein rettendes Schiff dem wogenden Kapitalismus vor der Tür. Obwohl der schnöde Mammon auch dahinter keine Nebenrolle spielt, wenn Martin Laberenz Dostojewskijs Spieler auf die Bühne stellt. Und auf was für eine!

Volker Hintermeier, der für Martin Laberenz auch die Bühne für Die Reise in Stuttgart gebaut hat und den Leipzigern durch seine Arbeit mit Jürgen Kruse (hier: Don Juan und Jedermann, in Frankfurt gerade Draußen vor der Tür) ein Begriff ist, hat in die Bühnenmitte ein riesiges, sich nach hinten verjüngendes Rad gebaut und hinter diesem in einiger Höhe die ebenfalls runde, eigentliche Spielfläche auf einem Podest platziert. Ob sich das wohl drehen kann?, fragt sich die Sitznachbarin … Und ob es das kann! Diese schauspielerbetriebene, rotierende Spielfläche fungiert in den nächsten dreieinhalb Stunden als Roulettescheibe und Lauf- und Hamsterrad. Ist zugleich aber immer auch unser Auge, eine übergroße Linse, hinter der sich  – wie unter einem Brennglas – das Geschehen abspielt, Seelen verspielt und Herzen verzockt werden.

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Dostojewskij hat den Spieler unter drohender Vertragsstrafe in nur 26 Tagen seiner Stenotypistin in die Feder diktiert und die Roulettenburger Gesellschaft durchaus aus eigener Anschauung beschrieben. Die Geschichte ist rasch erzählt: Während der General und seine Entourage – bestehend aus seiner Stieftochter Polina, dem Hauslehrer Alexej (von der eigenen Nichtigkeit überzeugt und ersterer in verzweifelter Liebe verbunden), dem Engländer Astley und der begehrten Französin Blanche – mit wachsender Verzweiflung darauf lauert, dass die Erbtante in Moskau endlich ins Gras beißt, kommt jene höchst lebendig selbst ins Spiel-Eldorado Roulettenburg. Und bringt im dortigen Casino in einer wahren Spielhysterie – «Setz! Setz alles auf Zéro! Setz!» – das erhoffte Erbe durch.

«Der Tatar in mir, der dreht sich aber!»
Edgar Eckert als Alexej Iwanowitsch. Foto: Sebastian Hoppe
Edgar Eckert als Alexej Iwanowitsch. Foto: Sebastian Hoppe

Edgar Eckert braucht keine Viertelstunde, um den ersten Szenenapplaus zu ernten, so sehr liegt ihm Dostojewskijs Spieler Alexej, dieser Sprunghafte, Manische, der sich mit der Geschwindigkeit einer Roulettescheibe in eine Spielsucht hineindreht, die nur äußerlich gewinnen zu wollen scheint, in Wahrheit aber vom Reiz des Alles-verlieren-Könnens lebt. Der nur verlieren kann im Kampf mit Polina, die Anna Blomeier ebenso gerissen wie verletzlich, so verzweifelt wie berechnend auf die Bühne stellt und die ihm wie einer Marionette die Fäden führt. Schön konterkariert wird uns dieser Alexej vom eher britisch-unterkühlten Astley Sebastian Grünewalds.

Das ist zunächst alles von einer Leichtigkeit, hat Witz, Charme und Situationskomik. Herrlich absurd, wenn wie von Geisterhand das Geld, das alle so verweifelt brauchen, plötzlich auf der Szene ist und Eckert und Grünewald ihre schauspielerischen Felle davonschwimmen sehen: Was tun, wo das Geld jetzt da ist, wenn sich hier alles darum dreht, das es NICHT da ist? Fein sowieso Sebastian Grünewalds Mister Astley mit Karos, Zigarette und nicht ohne britisch-trockenen Humor. Allein fehlt dem Ganzen vor der Pause der Unterbau, die Tiefe, das Drama. Wo sich in Aufzeichnungen aus dem Kellerloch (am Centraltheater Leipzig) Dostojewskijs Texte und das auch dort gern absurd-komische Spiel aneinander rieben und sich brachen, regiert hier bis dato eine Art kurzweilige Belanglosigkeit.

Der Spieler. Düsseldorfer Schauspiel. Foto: Sebastian Hoppe
Der Spieler. Düsseldorfer Schauspiel. Foto: Sebastian Hoppe
«Rien Ne Va Plus!»

Nicht umsonst aber hat Martin Laberenz in Leipzig bei Hartmann gearbeitet, der es meisterlich verstand die Zuschauer zunächst in Sicherheit zu wiegen, um dann der Inszenierung eine neue Wendung, eine ganz andere Richtung zu geben: Der zweite, deutlich stärkere Teil des Abends beginnt mit dem Warten darauf, dass das Casino endlich öffnet (Wie seltsam ungeduldig und reizbar sind manche Zuschauer, wenn Schauspieler auf der Bühne nichts tun ;). Dann endlich gewinnt die Inszenierung an Fallhöhe, die Einsätze steigen in dem Maße, wie die Tante ihr Geld verliert. Und das tut sie in einem wilden Rausch aus purer Lust am Risiko – zuerst, weil sie es kann, später, weil sie nicht mehr aufhören kann. Wie Karin Pfammatter als Wassiljewna um die Null kämpft, sich windet, den ungerührten Croupier mit «ihrem Geld zuscheißt» und buchstäblich das letzte Hemd versetzt! Um einen Moment später ebenso ungerührt, wie es gerade noch der Croupier war, aus der Rolle zu fallen, still zu stehen und zu bemerken «OK. Was für ein Quatsch».

«Ich bin für meine Laune und dafür, dass ich sie jederzeit haben kann.»

Zog die Tante Wassiljewna begleitende Blaskapelle aus lauter Iwans und einem Wladimir zunächst fröhlich-folkloristisch ein, spielen die pelzbemützten Herren nun zunehmend schräge Töne und auch sonst setzt die Musik von Friederike Bernhardt jetzt eigene, dissonante Akzente. In der eindrucksvollen und mit Kellerloch-Texten unterfütterten Paris-Szene entfernt sich Laberenz von der Romanvorlage, kommt aber gerade damit Dostojewskij paradoxer Weise am nächsten. Am Ende ist die Tante tot, des Generals Geld von der von ihm geehelichten Blanche in Paris durchgebracht, hat Polina Alexej ihre Liebe gestanden und er zu gewinnen begonnen. Der Anfang vom Ende – Glück in der Liebe und im Spiel ist nicht zu haben und ein Spieler entscheidet sich klar für Letzteres.

Der Spieler. Düsseldorfer Schauspiel. Foto: Sebastian Hoppe
Der Spieler. Düsseldorfer Schauspiel. Foto: Sebastian Hoppe

War man in Laberenz‘ Dostojewskij-Inszenierungen Kellerloch und Schuld und Sühne ganz nah dran, hatte geradezu im Spiel Platz, regiert auf der großen Bühne die Distanz. Gleichsam wie unter einem Brennglas windet sich das Personal, sucht mal in der einen, läuft mal in die andere Richtung. Was dem Laufrad eine neue Richtung zu geben scheint, ist am Ende doch immer nur ein Laufen im Kreis. Die innere Leere giert immer aufs Neue nach dem ultimativen Kick beim Rollen der Roulettekugel – wie die Shopping-Queens auf der Kö nach den neuesten Anschaffungen. Die nächsten Einsätze, bitte!

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